Die Hs. bildet textlich eine wohlkomponierte Einheit aller Gesangsteile der Messe sowie der zeitrechnerischen Hilfsmittel (Kalendar u. Computus), wobei der Sequenzen-Teil (V) durch das sich heute in Zürich befindliche Notkerbild u. die damit verbundene Widmung des Sequenzenbuches von Notker Balbulus (um 840-912) an Bischof Liutward von Vercelli († 900/901), Abt des Kolumbanklosters Bobbio, seit 880 Bischof von Vercelli, seit 883 Erzkaplan, seit 878 Erzkanzler Kaiser Karls III. (881-887), von historischer Bedeutung ist. Karl u. Liutward besuchten 883 St. Gallen, was Notker zum Anlass nahm, ihm das Sequenzenbuch zu widmen. Dieser Einheit entspricht auch der in allen Teilen einer Hand zuzuschreibende Initialstil mit seinen Nuancen in Schattierung u. Umrandung. Er verrät eine hohe künstlerische Sicherheit u. Routine, die sich auch im Einsatz von Schriftzierseiten zeigt. Die Plazierung der Bildseiten zeugt weiter von seiner geistigen Überlegenheit. Er verbindet die Bilder mit dem Text, indem er sie aus ihm «herausliest». Besonders eindrücklich ist dieses am Kreuzigungs- u. Osterbild (p. 190 u. 198) zu sehen. Für die Illustration des «Quem queritis» (p. 197) nimmt er nicht wie üblich das Bild der Frauen am Grabe in Anspruch, sondern schafft mit dem Christus in der Mandorla - sonst Teil der Himmelfahrt Christi - einen neuen Typus des Osterbildes, der noch in der barocken Osterliturgie nachlebt. Mit der Kreativität verbunden ist ein neues, monumentales Stilgefühl. Die Bildkompositionen enthalten verschiedene Komponenten, das Notkerbild beispielsweise folgt byzantinisch beeinflussten Bildern aus Montecassino, das Marienbild, wie schon Boeckler sah, byzantinischen Marienikonen vom Typus der Nikopoia. Auf eine byzantinische Hs. des 9.-10. Jh. verweisen auch die mit Bändern umwundenen Rahmenfüllungen des Kreuzigungs- u. Osterbildes. Die einheitliche, nicht pastose, doch tragende Farbgebung der Bilder setzt die Hs. von den jüngeren pastos gemalten [Sang. 338], [340] u. [341] (Nr. 161-163) ab. Ihre farbliche Anbindung in den Blau- u. Purpurtönen an die Hss. der Sigebert-Gruppe (Nr. 152, 155) ist nicht zu übersehen. Ihr Zeitstil entspricht demjenigen der für Kaiser Heinrich III.
(1046-1056) geschaffenen Miniaturen in den Echternacher Prachthss. wie dem Evangeliar aus dem Dom zu Speyer ([El Escorial, Vitr. 17]). Die p. 37 mit dem Jahr 1064 beginnende Tabelle des großen Osterzyklus dürfte kein zwingendes Argument da für sein, dass die Hs. erst danach entstand. Vgl. [Nr. 160] u. [161].