Bern, Burgerbibliothek, Cod. 219
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Homburger, Otto: Die illustrierten Handschriften der Burgerbibliothek Bern. Bd. 1. Bern 1962. S. 19–21. Redigiert und ergänzt von Florian Mittenhuber, August 2014.

Manuscript title: Eusebius Caesariensis: Chronicon
Place of origin: Frankreich: Fleury (Zimmermann, Homburger, Mostert); Reims? (Bischoff); Lowe, CLA VII, S. 7, beschränkt sich auf die Bestimmung „French centre with insular connexions“.
Date of origin: Datiert 699; vgl. die Inschrift auf f. 1r: In annum V. Childeberti regis Francorum Pippino iubente ab Adam sunt anni V milia DCCCC. Fuit pasca X. Kal. Aprilis, ascensio Domini fuit Kal. Madias. Per cyclum numerum annorum CXL, repeticio a capite cychli. [5. Regierungsjahr Childeberts III. von Neustrien: Ostern am 23.März (X. Kal. Aprilis); Auffahrt am 1 Mai (Kal. Maii); 140. Jahr des Cyclus des Victorius.] – Die auf f. 76r den Text abschliessende Zeitbestimmung (624, s. unten Inhalt) ist vermutlich aus der Vorlage des Textes mitübernommen worden. – Die Spätdatierung Zimmermanns „um 740“ auf Grund seiner Beurteilung der Initialen, womit die obige Inschrift ebenfalls übernommen wäre, hat keinen Anklang gefunden.
Support: Ungleiches, ziemlich grobes Ziegenpergament, unter Verwendung fehlerhafter Stücke.
Extent: 2 + 77 + 2 Blätter
Format: 30,5 x 23 cm
Foliation: Moderne Foliierung: III; 177; AB.
Collation: 2 Bl. I-II + 2 IV16 + 3 (III+2)40 + (IV+1)49 + IV57 + (II+1)62 + IV70 + (IV-1)77 + IA-B. 10 Lagen, meist Quaternionen, z.T. schon bei der Anlage mit Einzelblättern durchsetzt (Lagen 3–6, 10); f. 20 und 21 sind verbunden (Textsprünge). Lagenzählung I–VII (ev. weitere, jedoch nicht mehr erkennbar) durch steile römische Zahlen. – Die beiden ersten Blätter (f. III) sind originale Vorsatzblätter; die letzten beiden Blätter haben ursprünglich den alten weichen Einband gebildet (s. unten Einband).
Condition: Restauriert September–Oktober 1935, Johann Lindt, Bern (Vermerke auf Zusatzblatt f. Ar sowie im hinteren Spiegel); kleinere Reparaturen 2001.
Page layout: Zweispaltig, Schriftspiegel 26,5–27,5 x 19–19,5 (9–9,5) cm, 34–40 Zeilen, Blindlinierung, Punktierung am Rand.
Writing and hands: Niedere Unziale von merowingischem Typus; grössere, beachtenswerte vorkarolingische Majuskel mit spiraligen Einrollungen am Beginn der Sätze, herzförmige Form des Q. Überschriften in roter Unziale. Wechsel von schwarzen und roten Zahlen in den Zeittafeln (von Hieronymus selbst den Schreibern empfohlen; vgl. Traube 1902, S. X). Auf f. 3v Explicit in gestreckten roten Kapitalen; ähnlich, aber gröber, sind die die Feierlichkeit einer Inschrift anstrebenden schwarzen Majuskeln der ersten Seite.
f. 76v Halb-Unziale für das Palindrom des Pallagius, vermutlich dem Schreiber des ganzen Textes (Lowe 1956, S. 7); Capitalis rustica für das Palindrom des Rainfredus (9./10. Jh.; vgl. Pellegrin 1959, S. 19).
Decoration: Der Buchschmuck ist charakteristisch für vorkarolingische Handschriftenillustration des Frankenreiches und Oberitaliens im Allgemeinen und umfasst die in Saftgrün und blassem Rot kolorierten Zeilen der Überschriften; aus den Reihen ihrer im Sinne der merowingischen Kalligraphie geformten Kapitalbuchstaben ragen acht Initialen des gleichen Kolorits hervor (f. 1v, 3v, 7v); eine weitere, A (f. 26v), ist nur in Umrissen ausgeführt. Ihre Glieder sind gefüllt mit je zwei sich verflechtenden Bändern und alternierend an den Buchstabenrahmen angelehnten Halbkreisen, oder sie bestehen aus den für die Stilstufe charakteristischen Fischen, deren Rumpf geschuppt oder gleichfalls durch breites Bandgeflecht gefüllt ist. Zu beachten sind ferner die vegetabilen Ansätze an den Enden der Buchstabenteile. – Auf f. Iv federprobenartige (vorromanische?) Skizze, den oberen Teil einer Figur wiedergebend, auf f. 77r Teil einer Flechtwerkzeichnung.
Additions: 1r in der rechten Spalte schwarzer bzw. unten violetter Rundstempel Bibliotheca Bernensis, 42 mm (um 1700); links unten violetter Rundstempel Stadtbibliothek Bern, 30 mm (20. Jh.) – derselbe Stempel begegnet auch auf f. IIr.
Binding: Mit hellem Pergament überzogene Holzdeckel (32 x 23,5 cm), mit von aussen teilweise geschrägten Kanten, auf 4 Lederbünde geheftet, schnurumstochene Kapitalen. Rücken ohne Titel, mit Aufschrift Cod. 219. Je ein modernes Vorsatz - und Nachsatzblatt, vorne um den originalen Vorsatz (f. III) bzw. hinten um den alten weichen Einband (f. AB) gebunden.
Contents:
  • IrIIv Besitzvermerke (Ir, IIr: s. unten Provenienz) und Figur (Iv: s. oben Buchschmuck), sonst leer
  • 1. Eusebius Caesariensis: Chronicon.
    • Editionen:
      • Helm, Rudolf: Die Chronik des Hieronymus = Hieronymi chronicon [Eusebius: Werke. Bd. 7.2] 2. Auflage Berlin 1956.
      • Fotheringham, John Knight: Eusebii Pamphili Chronici Canones… London 1923.
      • Schöne, Alfred: Eusebi Chronicorum libri duo. Berlin 1866.
  • 1r Datumsangabe (s. oben Entstehungszeit)
  • 1va3va Prologus. >Eusebius Hieronymus. Incipit epitoma de chronicon. Quibus generacionis et regna ab Adam usque a<d Abraham et imperia vel passionis Domini omnes consecuti sunt, usque ad finem Valentis et Valentiniani imperatoris adiecimus. In nomine patris et filii et spiritus sancti. …–… >Eusebius Hieronymus< Vincentio et Gallieno suis salutem. …–… >Vetus iste dissertorum< mos fuit …–… incerta sunt omnia. >Explicit prologus.<
    Helm 1956, S. 1–7; Fotheringham 1923, S. 1–5; Schöne 1866, S. 1–3.
  • 3va7rb Praefatio. >Incipit interpretata< praefatio feliciter. >Moysis gentis Hebraeae,< qui primus omnium prophetarum …–… Quae universa in suis locis summa cum brevitate ponemus.
    Helm 1956, S. 7–19; Fotheringham 1923, S. 6–14; Schöne 1866, S. 4–10.
  • 7va76rb Chronicon. >Primus omnes Asiae,< exceptis Indis, regnavit Ninus Belli filius annis LII …–… et Valentiniani iterum omnes anni |V| DLXXVIIII. Et ad XIIII ann[um] Valentiniani qui Valentis usque hodie ind[ictione] XII. die Kal. Marcias imp[eratore] Heraclio sunt anni CCXLVIII. Fiunt omnes anni ab Adam usque hic |V| DCCCXXIIII.
    Helm 1956, S. 20–250; Fotheringham 1923, S. 16–332; Schöne 1866, S. 11–199.
    Bemerkungen zum Inhalt:
    Auf f. 7v/8r und 9v/10r füllen die Tafeln eine Doppelseite, ansonsten sind sie auf eine Seite zusammengedrängt; f. 20 und 21 sind verbunden: auf f. 42r ist der Text vollständig radiert.
  • f. 76v Palindromspielereien, angeordnet in Vierecken, die zusammengesetzt sind aus Buchstaben der Worte Pallagius und Rainfredus (vgl. oben Schrift und Hände).
  • 77r Federproben in einer die Schrift des Textes nachahmenden Unziale und zwei Worte in gepflegten, auf Fleury hinweisenden Zügen (2. Hälfte 9. Jh.; vgl. Pellegrin 1959, S. 49, Anm. 2); auf der gleichen Seite, wohl 10. Jh., eine Liste von Schuldnern Gauzelinus, Milo, Constius (?), Bernardus, estuarus, ardinus, warnerius, Benedictus, Johannes sacerdos, winebertus, Rodulfus mit Angabe der geschuldeten Beträge. Weiter fünf Zeilen mit Neumen, die Versus und Responsa zum Laurentiustag enthalten. Das erste Paar von V(ersus) und R(esponsum) findet sich im heutigen Benediktiner-Brevier in der vierten Lektion zur ersten Nokturn des Laurentiustages. Unten Notiz: Geroldus Mardocheus qui et brachia salicis (Äste des Weidenbaumes) vocatur.
  • 77v leer
  • ArBv Besitzeinträge (Ar, Br: s. unten Provenienz) und Katalogvermerke (Ar: s. unten Kataloge), sonst leer.
Origin of the manuscript: Die Herkunft aus Fleury ist noch zu ersehen aus der auf f. IIr eingetragenen, grossenteils getilgten, von Anfang an abgekürzten Besitzerinschrift (11. Jh.): Hic est liber sancti Benedicti abbatis Floriacensis cenobii; es folgt eine an potentielle Diebe adressierte Fluchformel. Die Herkunft wird ferner bezeugt durch Arnaldus Pontacus 1604, S. 26–27, sowie eventuell durch den Eintrag im Katalog von Fleury von 1552, Nr. 124: Epitoma chronicorum quibus generationes ab Adam usque ad Abraham et a Passione Domini omnes consules et quae consequuta sunt post finem Valentii usque ad quintum consulatum Valentiniani imperatoris continentur, in prima pagina haec scripta sunt: „In hoc corpore insunt chronica innota“.
Provenance of the manuscript:
  • Vorbesitzer: Pithou, Pierre (1539–1596) – Notizen von seiner Hand f. 1r und 76r (Pellegrin 1959, S. 25). – Auf f. Ir ist mit UV unsicher zu lesen Petri und darunter das Datum 1561 (oder 1569?); es ist aber nicht zu entscheiden, ob der Vermerk von Pithou oder Daniel stammt.
  • Vorbesitzer: Daniel, Pierre (1530–1603) – Besitzvermerk [Fuit] Petri Danielis Aurel[ii]. 1597 auf dem alten Einband f. Br. – Auf f. Ar befindet sich oberhalb der Katalogvermerke Wilds und Engels ein zweizeiliger abgeriebener Eintrag, auf dem mit UV noch unsicher der Name Madame de Bigot zu lesen ist.
  • Vorbesitzer: Bongars, Jacques (1554–1612) – sein Namenszug Bongars am Beginn und Schluss des Textes (f. 1r und 1v, jeweils oben; f. 76r unten).
Acquisition of the manuscript: Durch die Schenkung von Jakob Graviseth 1632 in die Berner Bibliothek gelangt.
Kataloge
  • Hortin, Samuel: Clavis bibliothecae Bongarsianae MDCXXXIIII. Bern 1634 [= BBB Cod. A 5], S. 6: [Sign.] I.15: Eusebius. Chronicon. f[ol.].
  • Wild, Marquard: Catalogus Librorum Bibliothecae Civicae Bernensis MDCIIIC. Bern 1697 [= BBB Cod. A 4] f. 41r: 219. Eusebii Chronicon. f[ol.].
  • Engel, Samuel: Manuscripta A[nno] 1740. Bern 1740 [= BBB Mss.h.h. III 110], f. 20v: 219. Chronica Eusebii Caesariensis conscripta ao. 702 jubente Pippino p., s. 8°, m[embr.]; f. 33r: 219. Eusebius. Chronica, conscr[ipta] ao. 702 jubente Pippino p., s. 8°, m[embr.].
  • Sinner, Johann Rudolf: Catalogus codicum mss. bibliothecae Bernensis, Bd. 1. Bern 1760, S. 64–67.
  • Hagen, Hermann: Catalogus Codicum Bernensium. Bern 1875, S. 269.
Literatur zur Handschrift (Auswahl):
  • Bischoff, Bernhard: Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts. Teil I: Aachen – Lambach. Wiesbaden 1998, hier S. 117 (Nr. 553a).
  • Fotheringham, John Knight: Eusebii Pamphili Chronici Canones… London 1923, hier S. XVII–XVIII.
  • Helm, Rudolf: Die Chronik des Hieronymus = Hieronymi chronicon [Eusebius: Werke. Bd. 7.2] 2. Auflage. Berlin 1956, hier S. XIII.
  • Homburger, Otto: Die illustrierten Handschriften der Burgerbibliothek Bern. Bd. 1. Bern 1962, hier S. 19–21.
  • Lowe, Elias Avery: Codices Latini antiquiores. A palaeographical guide to Latin manuscripts prior to the ninth century. Oxford 1934–1971, hier Bd. VI: France: Abbeville-Valenciennes (1953), S. XIX; Bd. VII: Switzerland (1956), S. 7, Nr. 860.
  • Mostert, Marco: The library of Fleury. A provisional List of Manuscripts. Hilversum 1989, S. 64–65 (Nr. 117).
  • Pontacus, Arnaldus: Chronica trium illustrium auctorum Eusebii Pamphili episcopi Caesariensis D. Hieronymo interprete … Bordeaux, Simon Millanges, 1604, hier S. 26–27.
  • Scarpatetti, Beat Matthias von: Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550. Bd. 2: Die Handschriften der Bibliotheken Bern – Porrentruy. Dietikon–Zürich 1983, Textbd. S. 19, Tafelbd. S. 3–4.
  • Schöne, Alfred: Eusebi Chronicorum libri duo. Berlin 1866, hier S. X–XI.
Literatur (Auswahl):
  • Beer, Ellen J. [et al.] (Hgg.): Weltchronik / Rudolf von Ems. Karl der Grosse / Der Stricker [Faksimileausgabe]. Luzern 1982–1987, hier Kommentarband, S. 147–148.
  • Bibolet, Françoise: Bibliotheca Pithoeana. Les manuscrits des Pithou: une histoire de fraternité et d’amitié, in: Nebbiai-Dalla Guarda, Donatella (Hg.): Du copiste au collectionneur. Turnhout 1998, S. 497–521, hier S. 503.
  • Bieler, Ludwig (Hg.): Lowe, Elias Avery. Palaeographical papers 1907–1965. 2 Bde. Oxford 1972 , hier S. 119, 174, 225, 442.
  • Bierbrauer, Katharina: Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek. Wiesbaden 1990, hier Textband S. 15–16 (Nr. 4).
  • Bischoff, Bernhard: Die europäische Verbreitung der Werke Isidors von Sevilla, in: Mittelalterliche Studien. Bd. 1. Stuttgart 1966, S. 171–190, hier S. 177.
  • Bodmer, Jean–Pierre: Das Rätsel Pallagius, in: Gazette du livre médiéval 3 (1983), S. 16–18.
  • Boeckler, Albert: Abendländische Miniaturen bis zum Ausgang der romanischen Zeit. Berlin/ Leipzig 1930, hier S. 13.
  • Butzmann, Hans: Die Weissenburger Handschriften. [Kataloge der Herzog–August–Bibliothek Wolfenbüttel. Neue Reihe. Bd. 10]. Frankfurt a.M. 1964, hier S. 54–55.
  • Cuissard Charles: Catalogue général des manuscrits des bibliothèques publiques de France. B, Départements. Tome 12. Paris 1889, hier S. VII.
  • Fotheringham, John Knight: The Bodleian manuscript of Jerome’s version of the chronicle of Eusebius. Oxford 1905, hier S. 4.
  • Ganz, David: Harley 3941: from Jerome to Isidore, in: Declercq, Georges (Hg.): Early medieval palimpsests. Turnhout 2007, S. 29–35.
  • Grémont, Denis-Bernard/ Hourlier, Jacques: La plus ancienne bibliothèque de Fleury, in: Studia monastica 21 (1979), S. 253–264.
  • Homburger, Otto: Über die kunstgeschichtliche Bedeutung der Handschriften der Burgerbibliothek, in: Schätze der Burgerbibliothek Bern. Bern 1953, hier S. 110–111.
  • Mosshammer, Alden A.: Two fragments of Jerome’s Chronicle, in: Rheinisches Museum für Philologie N.F. 124 (1981), S. 66–80.
  • Nordenfalk, Carl: Die spätantiken Canontafeln. Göteborg 1938, hier S. 175.
  • Pellegrin, Elisabeth: Membra disiecta Floriacensia, in: Bibliothèque de l’Ecole de Chartes 117 (1959), S. 5–56, hier S. 6, 19, 25. [Neudruck in: Bibliothèques retrouvées. Manuscrits, bibliothèques et bibliophiles du Moyen Age et de la renaissance. Recueil d’études publiées de 1938 à 1985 par Elisabeth Pellegrin. Paris 1988].
  • Schöne, Alfred: Die Weltchronik des Eusebius in ihrer Bearbeitung durch Hieronymus. Berlin 1900, hier S. 24.
  • Schöne, Alfred: Quaestionum Hieronymianarum capita selecta. Berlin 1864, hier S. 10–12.
  • Traube, Ludwig: Hieronymi Chronicorum codicis Floriacensis fragmenta Leidensia Parisina Vaticana phototypice edita. Leiden 1902, hier S. XII.
  • Traube, Ludwig: Vorlesungen und Abhandlungen. Bd. 1: Zur Palaeographie und Handschriftenkunde. München 1909, hier S. 175.
  • Vidier, Alexandre: L'historiographie à Saint-Benoît-sur-Loire et les miracles de Saint Benoît. Paris 1965, hier S. 42.
  • Zimmermann, Ernst Heinrich: Vorkarolingische Miniaturen. Berlin 1916, hier S. 58–59, 181.
Externe Ressourcen: