Für diese Handschrift sind folgende Beschreibungen vorhanden

  • Beschreibung von Marlis Stähli und Christoph Eggenberger, 2013.
    (Standardbeschreibung, momentan angezeigt)
  • Mohlberg Leo Cunibert, Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich I, Mittelalterliche Handschriften, Zürich 1952, S. 244 und S. 395.
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Zürich, Zentralbibliothek, Ms. Rh. 167
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Beschreibung von Marlis Stähli und Christoph Eggenberger, 2013.

Handschriftentitel: Rheinauer Psalter.
Entstehungsort: Bodenseegegend/Konstanz.
Entstehungszeit: Um 1260, zur Zeit des Interregnums.
Frühere Signatur: "Psalterium No 4" im Spiegel des Vorderdeckels, wobei unklar ist, ob sich die später durchgestrichene Nr. 4 auf einen früheren (privaten) Bestand oder auf Bände in der Klosterbibliothek Rheinau bezieht.
Beschreibstoff: Pergament.
Umfang: 199 Bl.
Format: 27,5 x 18,5 cm.
Seitennummerierung: Ältere Paginierung am oberen Seitenrand, p. 1-395, 19. Jh. (S. 36-37 gleichzeitig korrigiert, 38-39 doppelt). Foliierung durch Mohlberg vor der Katalogisierung jeweils auf der Rectoseite unten rechts, f. 1-199.
Lagenstruktur: Quaternionen mit eingefügten Einzelblättern (Bildseiten). III6 + [II-1]9 + 3 IV33 + [IV+1-1]41 + IV49 + [IV+1]58 + IV66 + [IV+1-1]74 + 6 IV122 + [IV+1]131 + IV139 + [IV+1]148 + 6 IV196 + [I+1]199. Wenig spätere Lagenzählung von der dritten Lage an (17v-189r), jeweils am Anfang und am Schluss der Lagen: i-xiiii, vx-viix, xvii-[xx], xxi-xxii. Lagenbezeichnung viix bzw. xvii doppelt vorhanden, xx fehlt, ist aber mitgezählt. Drei Blätter verloren: f. 9a (Kindheitsszene, Taufe?), f. 34a (Taufe, Einzug in Jerusalem, Abendmahl?), f. 70a (Kreuztragung, Kreuzigung?). Zum Lagenaufbau und zur Einrichtung vgl. Stähli, in: Rheinauer Psalter 2013, S. 108-114, zu den fehlenden Bildseiten Eggenberger, ebda. S. 85-88. Siehe auch Rekonstruktion der Lagenformel.
Zustand: Abgesehen von den verlorenen Bildseiten und dem ersetzten Einbandbezug gut erhalten. Blatt 197 (zweites Blatt der Litanei) Pergament geschrumpft und durchgehend stark gebräunt, Bl. 199 Bräunung nur im Bereich der Zeilenanfänge.
Seiteneinrichtung: Schriftspiegel einspaltig, 16,5 x 11 cm,17 Zeilen. Tintenliniierung, Punktierung am äusseren Rand. Begrenzung durch doppelte vertikale Linien, oben und unten doppelte horizontale Linien. Seitenränder: aussen 5,5 cm, innen 2 cm, oben 4 cm, unten 7 cm.
Schrift und Hände: Textualis formata, wohl mehr als ein Schreiber, vgl. Stähli, in: Rheinauer Psalter 2013, S. 132-134.
Buchschmuck:
  • Durch Bild- und Zierinitialseiten ist die Dreiteilung (Ps. 1, 51, 101) des Psalteriums gekennzeichnet, kombiniert mit der Achtteilung zur Zehnteilung durch 12-13zeilige grosse Zierinitialen bei Ps. 26, 38, 52, 68, 80, 95 (statt 97), 101. Die Zierinitiale 124r bei Ps. 95 ist auffallend kleiner, lediglich vierzeilig, aber ebenso kostbar gestaltet. Bei den Psalmen kleinere, in der Regel dreizeilige Gold-, gelegentlich Silberinitialen auf mit Weisslinien verzierten Farbfeldern (blau, rosa, mauve und grün), die Initialen überwiegend braun konturiert, die Aussengründe schwarz gerahmt. In Lage 17 (Ps. 95-100) etwas aufwendiger verzierte Initialen, 125r auf ockerfarbenem Aussengrund mit braunem Fleuronnée. Spezieller Typ in den Lagen 8 (50r-58v, mit Gefangennahme 52v) und 10 (67r-74v, mit Christus vor Pilatus 69v), meist Spaltleisteninitialen mit aufgesetzten Schnallen und konturbegleitendem rotem Fleuronnée, 57v und 58v Dracheninitialen. Vgl. Stähli, in: Rheinauer Psalter 2013, S. 115-131, Übersicht zur Psaltereinteilung und Zierinitialen S. 143-145; Oltrogge/Fuchs, ebda., S. 218-225.
  • Bildseiten und figürliche Initialzierseite:
    • 7v Verkündigung
    • 8v Geburt Jesu
    • 9v Darbringung Jesu im Tempel
    • [9a verloren. Kindheitsszene, Taufe?]
    • 10r Ps. 1, Initialzierseite Beatus vir, oben: Glockenspieler, unten: König David mit Harfe
    • [34a verloren. Ps. 26, Taufe, Einzug in Jerusalem, Abendmahl?]
    • 52v Ps. 38, Judas verrät Christus und Gefangennahme
    • 69v Ps. 51, Christus vor Pilatus
    • [70a verloren. Ps. 52, Kreuztragung, Kreuzigung?]
    • 87r Ps. 68, Grablegung
    • 107r Ps. 80, Auferstehung
    • 123v Ps. 95, Himmelfahrt
    • 128v Ps. 101, Pfingsten
    • 145v Ps. 109, Jüngstes Gericht
    Vgl. dazu Eggenberger, in: Rheinauer Psalter 2013, S. 37-93.
Spätere Ergänzungen: Vereinzelt zeitgenössische bzw. wenig spätere Korrekturen. Mehrmaliges venite zu Psalm 94 (Venite exultemus domino iubilemus deo ) auf dem äusseren Seitenrand 122v und 124r (123v Bildseite zu Christi Himmelfahrt) sowie Wortkorrektur 122v von einer späteren Hand des 14. Jahrhunderts.
Einband:
  • Neuer Lederbezug des 19./20. Jahrhunderts, darunter Reste eines weinrot eingefärbten Einbandes zu erkennen. Die dicken, leicht abgeschrägten Holzdeckel gehören wohl zum ursprünglichen Einband in romanischer Heft- und Bindetechnik. Zum Kaufvermerk im Spiegel des Vorderdeckels und zum Eintrag im Rückdeckel vgl. unten zu den Vorbesitzern.
  • Goldschnitt: Original erhalten ist der mit grossen Spiralranken verzierte, äusserst seltene Goldschnitt, vgl. Stähli, in: Rheinauer Psalter 2013, S. 162-166. Zu den verzierten Goldschnitten des 13. Jahrhunderts vgl. Harald Wolter-von dem Knesebeck, Ein unbekanntes Evangeliar aus dem Kloster Preetz und seine Stellung in der norddeutschen Kunst des 13. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 56. Bd., Heft 3, 1993, S. 335-365, besonders S. 336, 341; Helmut Engelhart, Der Hornplatteneinband, in: F. O. Büttner, The Illuminated Psalter, Turnhout 2004, S. 441-456, hier S. 443.
Inhaltsangabe:
  • 1r-6v Kalendar
  • 10r-181r Psalmen 1-150 (3- und 8-Teilung kombiniert zur 10-Teilung),
  • 181r >Cantica< Confitebor
  • 183v >Cantica Marie< Cantemus domino
  • 186v >Cantica populorum< Audite celi
  • 189v/190r >Ymnus puerorum< Benedicite omnia
  • 191r Benedictus
  • 191v Magnificat
  • 192r
    • Nunc dimittis
    • Te deum
  • 193r Pater Noster
  • 193v
    • >Canticum babyloniae.< Credo
    • >Catholica fide.< Quicumque vult
  • 196v-199r Litanei
  • Leer gelassen sind die Seiten vor den Miniaturen (7r, 8r, 9r, 52r, 69r, 123r, 199v) sowie 53r gegenüber der Bildseite 52v zur Gefangennahme Christi und die Doppelseite 144v-145r vor der Bildseite 145v zum Jüngsten Gericht.
  • Kalendar: In Format und Schrift leicht abweichend, aber wohl aus derselben Werkstatt (Farbgründe der Kalendenmonogramme, Lapislazuli, vgl. Oltrogge/Fuchs, in: Rheinauer Psalter 2013, S. 191). Ohne Festgrade, rot und/oder durch Sperrschrift hervorgehoben sind lediglich Marienfeste und Simplicius (2.3.). Die Heiligen stimmen grundsätzlich überein mit den in der Diözese Konstanz bzw. der Bodenseegegend verehrten, eingetragen sind der Konstanzer Bischof Conrad (26.11.), die Patrone der Reichenau, Pirmin (3.11.), und des Benediktinerklosters Rheinau, Fintan (15.11.), Felix und Regula (11.9., noch ohne Exuperantius) sowie Gallus (16.10.), Magnus (6.9.) und Othmar (16.11.); ausserdem Heilige, die nicht in Konstanz, sondern in anderen Diözesen verehrt werden, auffallend vor allem Heilige der Diözese Freising, u. a. Alto, Patron des Benediktinerinnenklosters Altomünster (8.2.), Cuthbert (20.3.), Castulus (26.3.), Quirinus und seine Tochter Balbina (24. und 31.3.), Florianus und Juvenalis (4. und 7.5.), vgl. Stähli, in Rheinauer Psalter 2013, S. 134-141. Siehe auch Kalendar-Tabellen.
  • Litanei: Ohne Hervorhebungen wie das Kalendar. Die Initiale zum Beginn der Litanei 196v auf dem letzten Blatt der 25. Lage stimmt mit dem üblichen Initialtyp überein und die kleinen roten und blauen Majuskeln sind durchgehend dieselben, so dass die Litanei als integraler Bestandteil des Psalters aufzufassen ist. Angerufen werden unter den Märtyrern Alexander, Theodor, Gordian und Epimachus (197ra), ausserdem die Bekenner Sylvester, Gregorius, Martinus, Augustinus, Nicolaus, Odalricus, Benedictus, Gallus und Magnus (197rb) sowie die Jungfrauen Maria Magdalena, Felicitas, Agatha, Agnes, Lucia, Caecilia, Afra, Margareta und Walpurga (197va).
Provenienz der Handschrift:
  • Die Untersuchungen zur Buchmalerei weisen nach Konstanz, vgl. Eggenberger, in: Rheinauer Psalter 2013, S. 23-26.
  • Da im Kalendar kaum Auszeichnungen vorhanden sind und Festgrade fehlen, keine Kirchweihen und ausser der Translatio Benedicti (11.7.) und der Translatio Augustini (11.10.) keine Heiligentranslationen verzeichnet sind, ist eine Lokalisierung schwierig. Aus dem Konstanzer Kalendar fehlen von den höheren Festtagen vor allem die Konstanzer Kirchweihe (9.9.) und Bischof Gebhard (27.8.), Pelagius erscheint am 28.8. nur an zweiter Stelle. Denkt man an das Benediktinerkloster Rheinau fällt auf, dass der Patron Fintan und damit auch die Rheinauer Kirchweihe am 15.11. nicht besonders hervorgehoben sind, die Heiligen aus dem Freisinger bzw. Salzburger Kalendar sprechen eher dagegen. Zieht man die Reichenau in Betracht, dürfte Meinrad nicht fehlen, in Schaffhausen sind die Heiligen Constans und Alexander unverzichtbar, in Petershausen der Konstanzer Bischof Gebhard, für St. Gallen fehlen Notker und Wiborada, für Chur Placidus, Sigisbert und Lucius. Bleibt man im Bereich der Kirchenprovinz Mainz ist auch an die Klöster Zwiefalten oder Weingarten zu denken, das 1056 von Mönchen aus Altomünster in der Diözese Freising besiedelt wurde, was die Heiligen Alto und Emmeram erklären könnte. Auffallend sind schliesslich Quadraginta milites (9.3.) und Longinus miles (15.3.), die einen Bezug zum Rittertum zeigen und auf die Zeit der Kreuzzüge verweisen, wie auch der sonst im Deutschorden übliche Doppeleintrag zum Ritter Georg (hier 23. und 24.4.). Mit Longinus ist vielleicht auch Weingarten als Wallfahrtsort der Heiligblutreliquie angesprochen, wie im Übrigen mit dem im Konstanzer Kalendar nicht enthaltenen Quirinus (24.3.) und dessen Tochter Balbina (31.3.) der bayerische Wallfahrtsort Tegernsee. Hinsichtlich der Datierung des Rheinauer Psalters fällt auf, dass die 1263 eingeführte Visitatio Mariae am 2.7. nicht eingetragen ist, doch fehlen die Franziskaner Heiligen ohnehin (Franciscus 1228, Dominicus 1234 kanonisiert) und auch die weitherum verehrte, 1235 kanonisierte Landgräfin Elisabeth.
  • Gallus und Magnus weisen auf das Bodenseegebiet. Die Litanei ist nicht aus der Sicht von Frauen gehalten: 198ra Peccatores te rogamus audi nos, 199r Fac nos famulos tuos sancte Marie dei genitricis et omnium sanctorum tuorum ubique tueri presidiis, 198rb bezeichnen sich die Anrufenden als Kongregation aller Heiligen: Ut nostram congregacionem omnium sanctorum in tuo servicio conservare digneris te rogamus audi nos, mit der Oratio Memor esto congregacionis tue, 198v. Dies lässt auf einen Auftraggeber schliessen, der eng mit der Kirche, der Congregatio Omnium Sanctorum verbunden war und den Psalter für das Privatgebet nutzte, einen Bischof, einen Abt oder einen hochgestellten Wohltäter.
  • Zu Kalendar und Litanei vgl. Stähli, in: Rheinauer Psalter 2013, S. 134-142, zu den Auftraggebern Eggenberger, ebda. S. 24-25.
Erwerb der Handschrift: Vorbesitzer: Vom unteren Rand des ersten Pergamentblattes des Buchblocks ist ein Stück längs der letzten Zeilenlinie herausgeschnitten, das vielleicht einmal einen Besitzeintrag trug. Entgegen Mohlberg, Katalog S. 244 stammt die Handschrift nicht aus dem Allerheiligenkloster Schaffhausen, sondern sie wurde am 22. Februar 1817 durch den Bibliothekar und Gutsverwalter des Klosters Rheinau, Blasius Hauntinger (1762-1826) unter Abt Januarius II. Frey wohl aus den Rückgängen einer der Auktionen Johannes Melchior Kirchhofers (1736-1837) bzw. aus dessen Bibliothek in Schaffhausen erworben, siehe den Kaufvermerk im Spiegel des Vorderdeckels: Comparatus est liber iste pretiosus [, Preis geschwärzt] sub abb. Januario II. die 22. Feb. 1817 ex Licitatione librorum D. Conrectoris Kirchhoferi Schafhusiani. Testatur P. Blasius Hauntinger p. t. granarius. Zu Provenienz, Vorbesitzern und zum Eintrag Hauntingers im Spiegel des Rückdeckels (Zählung der Miniaturen und Zierinitialen) vgl. Stähli, in: Rheinauer Psalter 2013, S. 157-161.
Bibliographie:
  • Christoph Eggenberger und Marlis Stähli (Hrsg.): Der Rheinauer Psalter – Meisterwerk der Buchmalerei um 1260. Zentralbibliothek Zürich, Ms. Rh. 167, Quaternio Verlag Luzern 2013, mit Abbildungen aller Bild- und Initialzierseiten sowie einem Faksimile-Doppelblatt. Darin: Christoph Eggenberger: Der Bilderzyklus im Rheinauer Psalter, S. 37-47; ders.: Erläuterungen zu den Miniaturen im Rheinauer Psalter, S. 57-93; Marlis Stähli: Text, Schrift und Bild, S. 103-145; dies.: Einband und Provenienz, S. 157-167; Doris Oltrogge/Robert Fuchs: Materialien und Maltechnik des Rheinauer Psalters, S. 187-260; Literaturverzeichnis S. 275-286.
  • Leo Cunibert Mohlberg, Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich I, Mittelalterliche Handschriften, Zürich 1952, S. 244 und S. 395.