Beromünster, Stiftskirche St. Michael, Epistolar
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Marina Bernasconi Reusser für e-codices, 2009.

Handschriftentitel: Epistolar von Beromünster
Entstehungszeit: Erste Hälfte 11. Jh. (Hoffmann: erstes Viertel des 11. Jhs.)
Frühere Signatur: II. C. 3.
Beschreibstoff: Pergament
Umfang: 129 Blätter
Format: 235 x 172 mm
Seitennummerierung: Neuere Foliierung 1-129 ausgeführt nach der Digitaliserung.
Lagenstruktur: 15 IV120 + 1 (IV+1)129.
Seiteneinrichtung: Blindliniierung. Schriftraum 135 x 120 mm (11 + 98 + 11); 13 Zeilen.
Schrift und Hände:
  • karolingische Minuskel von einer Hand;
  • nach Hoffmann in eine vollendeter Reichenauer Kalligraphie geschrieben; nach ihm Schreiber identisch mit der Hand A von Basel II 5 und wohl auch mit der Hand des Londoner Regino-Codex Arundel 390.
Buchschmuck:
  • Überschriften rot. Textinitien und Überschriften in Rustica und / oder Unziale. Bei f. 2r erste Linie in goldener Quadrata und Unziale, zweite Linie ein goldener Buchstabe, die übrigen schwarz mit goldener Strichelung; dritte Linie in Unziale und vierte Linie in Rustica, erst mit der fünften Linie beginnt der Minuskeltext.
  • Die Texthinweise für den Rubrikator sind am Rand mit einem Griffelgeschrieben.
  • 2-3-zeilige einfache rote Majuskeln am Anfang der Perikopen.
  • 3-8-zeilige Goldene Spaltleisteninitiale mit roter Umrandung, Rankendekor auf hellblau-grünem Binnengrund bei einigen Festtagen (2r Anfangsseite, 36v Karsamstag, 37r Ostern, 52v Auffahrt, 56r Pfingsten).
Einband: 255 x 188. Der Einband besteht aus zwei verschiedenen Teilen.
Vorderdeckel: Platte aus Elfenbein (236 x 169), aus zahlreichen Teilstücken zusammengesetzt und in einem Holzbrett eingelassen. Auf dreimal drei Reihen sind in Hochrelief durch Inschriften bezeichnete Halbfiguren dargestellt. In der oberen Reihe die Propheten Isaias und Ezechiel sowie Papst Gregor der Grosse; in der mittleren Reihe im Zentrum Christus grösser als die übrigen Figuren, flankiert von den Aposteln Petrus und Paulus; in der unteren Reihe die Propheten Jeremias und Daniel, ferner der Kirchenvater Hieronimus. Die Figurenreihen sind voneinander durch Masswerkzonen getrennt, welche wie die Randborte mit Blattwerk und die Figurenplättchen, durchbrochen gearbeitet sind. Die Elfenbeintafel wird in der zweite Hälfte- Ende des 13. Jhs. datiert.
Hinterdeckel: Holzdeckelplatte mit gelbem Lederüberzug, Plattenstempel (15./16. Jh.).
Heftung aus drei Doppelbünde und Pergamentstreifen mit Spuren von Schrift als Verstärkung. Buchschnitt blau. Eine Mittelschliesse; Schliessenstift verziert mit gotischen Buchstaben BMB. Auf dem Hinterdeckel Spiegelblatt aus Papier mit Wasserzeichen (Bär, 16. Jh.).
Nach einer Notiz des aus dem Jahre 1207 stammenden Directorium Chori (s. Kopp S. 5; Bruckner S. 11 Anm. 5) war der Codex ursprünglich mit dem Elfenbeineinband, der heute beim Cantatorium (Beromünster, Stiftskirche St. Michael, Kirchenschatz) eingebunden ist, geschmückt.
Die Neueinbindung könnte im 15./16. Jhs. durchgeführt worden sein.
Inhaltsangabe:
Epistolar mit Lesungen für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres.
  • 2r-113v Proprium de tempore und Proprium sanctorum Weinachtsvigil – 5. Adventssonntag Fratres. Paulus servus Christi Iesu vocatus apostolus, segregatus
  • 113v-125v Commune de sanctis >In nativitate omnium apostolorum. Lectio < Fratres. Iam non estis hospites …–… et laudem dicam nomini tuo domine deus noster.
  • 125v-129v In dedicatione ecclesiae >In dedicatione aecclesiae. Lectio libri apocalipsi Iohannis apostoli< In diebus illis. Vidi civitatem sanctam Ierusalem …–… Nisi qui scripti sunt in libro vitae et agni.
Provenienz der Handschrift: Auf f. 1r Eintrag in gotischer Schrift des 15. Jhs.:
Hunc librum Pauli doctoris /
denique summi. /
scripturis totum simul au- /
ro ebore quia paratum
Marchio U/o/dalricus tibi Criste
sanxit in usum.
Qui post hanc vitam mere-/
atur habere quietem.

Der gleiche späte Vermerk findet sich im Evangelistar, das zusammen mit diesem Codex und dem Cantatorium im Schatz der Stiftskirche aufbewahrt wird (im Gegensatz zu Bruckner, Scriptoria, S. 11, befindet sich der Eintrag nicht im Cantatorium). Die Schenkung, die das Evangelistar und das Cantatorium nicht betreffen kann, weil sie später entstanden sind, soll auch im Directorium Chori verzeichnet sein: „Ulricus comes de Lenzburg restauravit hanc ecclesiam a. 1036, ditans eam […] cum zypho aureo et libro epistolari eburneo auro suffocato, ad huc manente, evangeliaro vero dilapso“ (Bruckner S. 11 Anm. 5). Beim Schenkenden handelt es sich um den zweiten Gründer Beromünsters, Udalricus I. oder Ulrich den Reichen († vor 1050), der mit der ältesten erhaltenen Urkunde (1036) die Güter und Pflichten des Vogtes festlegte (Reinle, in KDM IV S. 74, denkt an Ulrich IV. † 1172). Das Epistolar scheint das einzige erhaltene Buch aus der Frühzeit des Stiftes zu sein.
Ürsprünglich dürfte der Codex mit den zwei Elfenbeintafeln, die jetzt das Cantatorium decken, geschmückt gewesen sein. Der Ledereinband des 15./16. Jhs. lässt darauf schliessen, dass die Handschrift in dieser Zeit neu eingebunden wurde und offenbar die heute am Holzdeckel befestigte Elfenbeintafel erhielt.
Erwerb der Handschrift: auf dem Vorderdeckel ex-libris des Stifts Beromünster mit Signatur "1891. II. C. 3.“. Auf dem Hinterdeckel Schildchen mit Signatur "No. 25579.3“.
Bibliographie:
  • Karl Alois Kopp, Die Stiftsbibliothek von Beromünster. Beilage Jahresbericht Mittelschule Beromünster 1903/04, S. 3-4.
  • Adolf Reinle, Die Kunstdenkmäler des Kantons Luzern, Bd. IV (1956), S. 79s, Abb. 67.
  • Albert Bruckner, Scriptoria medii aevi helvetica. Denkmäler schweizerischer Schreibkunst des Mittelalters, Bd. 9, Genf 1964, S. 11-13, Taf. I, XLIV.
  • Hartmut Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, Stuttgart, 1986 (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, 30), S. 314.
  • Adolf Reinle, Die Kunst der Innerschweiz von 1200 bis 1450. Ein Überblick, in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft. Bd. 1: Verfassung. Kirche. Kunst, Olten 1990, S. 352.
  • Corpus Inscriptionum Medii aevi Helvetiae. Die frühchristlichen und mittelalterlichen Inschriften der Schweiz. Bd. 4: Die Inschriften der Kantone Luzern, Unterwalden, Uri, Schwyz, Zug, Zürich, Schaffausen, Thurgau, St. Gallen und des Fürstentums Liechtenstein bis 1300, mit Nachträgen zu den Bänden I-III, gesammelt und bearbeitet von Wilfried Kettler und Philipp Kalbermatter, Freiburg 1997, Nr. 48, S. 138-9, Taf. 27 Fig. 122.