Hermetschwil, Benediktinerinnenkloster, Cod. chart. 211

Bretscher-Gisiger Charlotte / Gamper Rudolf, Katalog der mittelalterlichen Handschriften der Klöster Muri und Hermetschwil, Dietikon-Zürich 2005, S. 344-347.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags (Urs Graf Verlag, Dietikon). Das Copyright an der Handschriftenbeschreibung liegt beim Verlag.
Handschriftentitel: Gebetbuch
Entstehungsort: Villingen, Bickenkloster St. Klara (?)
Entstehungszeit: Anfang des 16. Jahrhunderts
Frühere Signatur: Cod. 10.161.
Beschreibstoff: Papier
Wasserzeichen: Buchstabe P, Piccard IX 727 und 731 (1499–1500); Ochsenkopf, ähnlich Piccard XII 558 und 559 (1505–1523).
Umfang: 242 Blätter
Format: 15 x 10–10,5 cm
Seitennummerierung: Neuere, teilweise korrigierte Foliierung: I. 1241.
Lagenstruktur: Lagen: V10 + 2 VI34 + V44 + (V-1)53 + IV61 + V71 + ([VI-1]+II)86 + VI98 + V108 + VI120 + V130 + VII144 + VI156 + IV164 + 2 VI188 + (VI-1)199 + V209 + VI221 + (V-1)230 + (VI-2)240, nach Bl. 52 und 80 je ein Blatt herausgeschnitten, nach Bl. 80 ein Binio eingeheftet, nach Bl. 199 und 223 je ein Blatt herausgeschnitten, nach Bl. 240 zwei Blätter herausgerissen. Neuere Lagenzählung am Lagenanfang 2–22.
Seiteneinrichtung: Schriftraum teilweise mit Tinten-, Stift- und Blindlinien begrenzt, 10–13 x 7,5–9,5, 12–22 Zeilen.
Schrift und Hände: Jüngere gotische Kursive einer Haupthand und einer zweiten, gleichzeitigen Hand (88r94r, 155r156v, 234r240v).
Buchschmuck: Rubriziert, Überschriften rot, 1–2zeilige rote Lombarden, 211r 4zeilige rote Lombarde mit schwarzem Fleuronné.
Spätere Ergänzungen: Streichungen und Korrekturen, z. B. 7v, 12r, 37r, 231r; Nachträge, z. B. 85rv, 156v.
Einband: Mit blauem Papier überzogene Kartondeckel, 19.–20. Jh. Vorsatzblätter (I, 241) Papier, neu. Auf dem Rücken Papierschilder mit Inhaltsangabe Gebete, Macarius Predigt. S. Clara in Villingen, 19.–20. Jh., und Signatur 211.
Hauptsprache: Mundart: Nordöstliches Hochalemannisch.
Inhaltsangabe:
  • Ir Angaben zur Handschrift, 20. Jh.
  • Iv leer.
  • 1r9r Sonntagsgebete. >Dis gebet sol man sprechen am suntag mit andachte<. Ich bevil mich und min sel und min lib, min er und min guͦt in den gewalt des hymelschen vatters, in die unmässigen wißheit des suns und in die volkomen gütti des heilgen geistes
    3 Gebete, Initien im Register.
  • 9v11v leer.
  • 12r57r Andachten vor der Kommunion mit zwölf Pater noster. >Man sol dis xij Pater noster in viij tagen betten e ains dz heilig sacrament enpfacht<. Ein xij sunderlich verdienen verbungen (?) darinn sich die sunderlichen fründ gottes mit fliß üben
    • (12v) Das erst Pater noster sy ze lob got in sibnerley fasten das in der nüwen e geschechen ist
  • 57r63v Über den täglichen Kommunionempfang. >Es was ein heilige junckfröw die hatt alle ir andacht und ir begerung daran gelait das sy unseren heren dick enpfienge etc.<. Nun gieng sy zuͦ einem ze beicht und ward mitt im redent davon und fraget inn ob ain mensch als volkomen wer das es gott alle tag mocht enpfachen
  • 63v69r Geistliche Unterweisungen («Das Himmelsleiterchen»). Ain mensch das von den sünden lat und fürbas ungern sunden wölt als ver im sin gewissen und vernunfft wisset in allen dingen Das bewisset in das nach geschriben hymelleitterlin
    • (64r) Item der erst sproß ist armuͦt des gaists die macht den mensch ain lausser und flicher disser welt
    • (65v) Merck der haist ein arm mensch ab dem gestorben ist alles das natürlich ist
    • (67r) Darnach ains tags da wolt der mensch unsern herren enpfauchen und alle die nacht kund er nit zuͦ im selber komen mit gebett
  • 69r74r Die zwölf Kräfte der Seele. Eins maint sant Thoman und Richardus und Franciscus das xij krefft syent der sele
    • (69v) Die erst ist gemain sin davon werder mensch ist das sich wirdenclichen schickt zuͦ dem hailigen sacrament des fronlichnams unsers herren Ihesu Christi
  • 74r85v Andacht vor der Kommunion mit fünf Pater noster. Das man sich wol schick und berait zuͦ dem wirdigen sacrament gottes lichnam da gehörent v ding Bett v Pater noster in des heren niessen und enpfauchen.
    • (74v) Das erst Pater noster dem wissen und bekennen und der warhait
    • (78r) Bett aber v Pater noster der junckfröwen Maria irem aller wirdigosten beraitten
    • (80r) Won bette aber funff Pater noster dem flissigen schicken und beraitten aller andächtigen frummen menschen
    • (85r) Nachtrag. Das ist die ketin die den Lucefern bind in der hell: Per ipsum durch den vatter Et in ipso in dem sün
  • 86r87v leer.
  • 88r91v Gebete zum Jesuskindlein zur Weihnachtszeit durch den Tag. >Dis sind drü Pater noster die man alltag sprechen sol wenn das kindlin Ihesus geboren wirt. Das erst<. Der übung sins miltsamen hertzen was er den selben tag, den du nach der obgenamten wiß in diner mainung haͧst, gedacht
    • (88v) O himelscher vatter ich opfren dir dinen werden geliepten sun minen lieben herren Ihesum Christum wie wol er dir gefallen haut … Vgl. A.5a.1, 222r223r.
    • (90v) >So du des morgens frü uff staust so grütz din kindlin<. O aller liepstes kindlin Ihesus jetz ist zitt von dem schlaͧff uff zuͦ ston
  • 92rv Gebet zu Christus. O waurer ewiger sun gottes ich ermanen dich und bitt dich umb der bitterkait und hertztlicher rüw willen die du gehept haͧst
  • 92v94r Passionsandacht, Albertus Magnus zugeschrieben. Bischoff Aulbrecht spricht: Es sind xxiiij stund tag und nacht der nim dir aine teil. Tail sy enzweyg und vertrib die mit unnsers herren marter das ist dir nützer und besser denn ob din alle mentschen gedächtint
  • 94v99r leer.
  • 99r154v Predigten des «doctor Macharius». >Dissi stuckli han ich genomen uß den preynen so doctor Macharius gethon hat von unser froͧwen tag der geburt im jar do man zalt tusent vierhundert / funffhundert und ain jar<. An unser froͧwen tag der geburt lait er vil hüpscher stuckli von unser froͧwen von irer enpfencknus und von ir geburt
    • (100r) An unser froͧwen tag der liechtmeß sait er undren andern dyngen wie sy enpfieng dz ewig wort
    • (106v107r) leer. Zusammenfassung von Werktags- und Feiertagspredigten von Purificatio BMV bis Pfingsten und weiterer Predigten.
    • (154r) >Benedicite servi domini domino<. Die hymelschlichen bystender der hailgen hochen trinitet und der künginen Maria sient mit uns zuͦ allen zitten … ,
      vgl. unten, 177v. Der Zyklus von Purificatio BMV bis Pfingsten wurde nach der Datierung An unser froͧwentag der verkundung das was uff den fritag vor dem balmtag (140v) im Jahr 1491 oder 1496 gehalten.
      Zu den Predigtnachschriften im Villinger Bickenkloster: Josef Oswald, Ursula Haider und die Folgen. Die erste Blüte von St. Klara um 1500, in: St. Ursula. Ein Villinger Haus mit Geschichte. Ausstellungskatalog, Villingen 1999, S. 27f.
  • 154v156v Gebete, Sprüche und Exempel. Ich arms hert wurmlin ich bit dich edlen geist und sel Cristi dz du mim gaist an alle hailgen guͦtte gaist hefftest
    Anschliessend Exempel und Sprüche von Fulgentius, Christus und Bonaventura sowie Zusammenfassungen von Predigten eines doctor zuͦ Costentz, des doctor Macharius, eines Beringer und des bruͦder Anthonius zun Predigen.
  • 157r169r Kurze geistliche Unterweisungen und Sinnsprüche. Teilweise gereimt. [D]u muͦst dich wirtschafft verwegen, willtu hoches gaistes pflegen, er muͦß sich fast han in huͦt, wen bluͦt und flaisch nit schaden thuͦt
    Teilweise unter Anführung von Autoritäten, z. B. Hieronymus, Gregorius, Augustinus, Seneca, Bernardus.
  • 169v176v Geistliche Betrachtungen durch die Woche. >An dem mentag ze ymis<. Wer der her syg von dem du alle ding haust und der dir alle ding geschaffen haut und wie er dir dienet mit den vier elementen
    Betrachtungen beim Morgenimbiss und beim Nachtessen von Montag bis Sonntag.
  • 177r leer.
  • 177v184v Predigten des «doctor Macharius». >Dis ist doctor Macharius vorrede wenn er anfachen bregen wil: Benedicite servi domini domino<. Die hymelschen bystender der hailgen hochen trinitet und der künginen Maria syent mit uns allen zuͦ allen zitten die des begert sprechent mit andacht irß hertzen amen, dz werd war.
    Vgl. oben, 154r.
    • (178v) >Dis het doctor Macharius preget an aller hailgen tag ze abent<.
      Die übrigen Predigtzusammenfassungen ohne Angabe der Sonn- und Festtage.
  • 184v194r Predigten des Bruder Antonius OP. >Bruͦder Anthonius zun Bregeren jetz prior<. Von dem ablauß haut er het er och breget: Niemant mag der ablauß werden er hab den rüw umb sin sünde
    Zusammenfassung der Predigten zun Bregeren, 194r zuͦ sant Steffen.
  • 194v195v Die fünf Meister. Es saussent v maister by ainandren und sprache der erst: Ain ainiger sünfz von rüwigem hertzen umb din verloren zitt ist gott loblicher und diner sel nützer dann xxx psalter gesprochen mit andaucht
  • 195v196r Predigt des «doctor Pantmann». >Item doctor Pantman haut breget ze Raffenspurg<. Wenn ain mensch befinde das es geschickter sy wenn es zuͦ allen guͦtten worten und wercken wenß faste dan wenß esse so sols fasten
    Predigtzusammenfassung.
  • 196v leer.
  • 197r201r Vier Unterweisungen. Durch xij ursachen willen gibt got glucksälikait und zitlich guͦt den bösen. Zum ersten das er sy reitz zuͦ im das er sy dester hertenclichen geißle
    • (198v) >Die staffelen der demütikait noch sant Benedictus lere<. Die erst mit hertzen und lib all zit demüttikait erzögen
    • (200r) >Dis sind fünff stücklin durch die verlürt der mensch fünff grosser schätz der sich davor nit hütten kan<. Das erst ist: In unmuͦs und gewerbs verlürt der mensch gern andacht
    • (200v) Item das uns zu völlige fröd werd hand an mit liden mit allem liden bittent got umb frid fürn bapst küng und keyser und die gemein cristenheit
  • 201v230v Ursula Haider: Neujahrsansprachen 1496 und 1500. >Hie nach folget aber ain wenig von dem costlichen früntlichen guͦtten jar so unser trüweste alte muͦtter sälig uns allen iren kinden ze sant Claren in Villingen geben haͧt uff den frölichen ingänden jarstag im lxxxxvi jar ainen schönen tempel mit v cappellen und im chor sind m [1000] altar. Disse allerkostperlichsten tempel wirt üch und gantzem convent geschenckt von uns allen sament gemainlich ir wellint inn zuͦ ainem glück und hort behalten und uch all dar inn erspatzieren in üweren andächgen gemüt. Wir trüwent er uch lieb werd werden<. Das süß milt vergottet kind von Betlehem das von überwal siner ewigen liebi sin rossenfarw bluͦt so schmertzlich vergossen haͧt byt ich mit innikeait es well üch allen verlich und geben ain gnadrich fridsam volkomen glücksam tugenrichs guͦtz jar …–… 209r So gloub ich crefftenclich das üwre guͦtte jar hie anfachint und in der ewikait üch bestätgott werdint im heren Iherusalem. Amen.
    • (210r) >Hye nach volget ain wenig wie unser erwirdige trüwsti alte muͦtter salig schwöster Ursel Haiderin dem gantzen convent uns allen iren liebsten kinden ze sant Claren in Villingen ain guͦtz jar gewunscht und geben haͧt im xvc jar. Lert von dryen sichren zellen in denen wir mit unserem gemüt all wegen sond wonen <. Das ewig wort des vatters sich von minnen genaigt in menschlich natur und geleit ist worden in die engen krippen well sich mit sinen göttlichen gnaden versencken und verschliessen in üwer hertz und sel …–… wer diß nit hab der bit got umb sin gnaud.
      Chronik des Bickenklosters zu Villingen 1238 bis 1614, hrsg. v. Karl Jordan Glatz, Tübingen 1881, S. 43–55, in stark abweichenden Redaktionen, auf 1495 und 1496 datiert; Siegfried Ringler, Artikel Haider, Ursula, in: Verfasserlexikon2, Bd. 3 (1981), Sp. 399–403.
  • 230v–233v Vom Leiden. [I]ch höcher edler gott wist in aller miner wißhait nicht als edels als liden davon wölt ich in liden geborn werden und vertraib als min leben in liden und wolt och in liden für alle menschen sterben won volg mir nach und lide och durch minen willen …–… das ich dir nit anders geben kann mag noch enwil denn allein mich selber.
    • (233v) Ich ermanen dich du hochgelöbtes minyband, ich ermanen dich her der minn und liebe
  • 234r239v Auslegung der Edelsteine in Ez 28,13. >Ain engelsch laudate<. Dän andächtigen sinen recht lieben tochtren in gott zuͦ trost und hilff hie in zitt und ewenclichen sich zuͦ fröwen in himelscher glory hat Ezechiel der prophett am xxviij unnderschaid erclärt durch ix edelstain die nün chör der engell
    • (236v) Der Sardius haͧt die craft er ennzündt die fröd, tribt us die forcht
  • 239v240v Gebete zu Christus. O herr Ihesu Christi mach dz ich dich inbrünstenclichen lieb hab
    • (240r) O min aller fröllichoster erwürdigoster lieber herr Ihesus Christi und min usserwelter gemachel wenn wird ich dich gantz truken, wenn wird ich dich gantz sichtperlichen sechen
    • (240v) O herr ich lieb dich ich wil dich ich main dich
  • 241rv leer.
Entstehung der Handschrift: Vermutlich aus dem Bickenkloster St. Klara in Villingen (vgl. 201v und 210r); neben weiblichen Anreden (z. B. 234r Dän andächtigen sinen recht lieben tochtren in gott) finden sich Gebete mit männlichen Betern (z. B. 4r ich armer unwirdiger sünder). Mundart: Nordöstliches Hochalemannisch.
Provenienz der Handschrift: Im vorderen Spiegel und 1r alte Signatur mit Bleistift Cod. 10.161., im vorderen Spiegel no 211, 1r und im hinteren Spiegel Stempel Convent M. G., 19. Jh.
Bibliographie:
  • Bruckner, Scriptoria 7, S. 42f.
  • CMD-CH 3, Nr. 309.