St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 1919
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Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen. Codices 1726-1984 (14.-19. Jahrhundert), St. Gallen 1983, S. 200-205.

Handschriftentitel: Deutsche Predigten («Engelberger Prediger», Johannes Tauler) • Geistliche Lehren • Geistliche Parabeln
Entstehungsort: Dominikanerinnenkloster St. Katharina St. Gallen / nachmals Wil
Entstehungszeit: 15./2 Jh.
Beschreibstoff: Papier. Wasserzeichen Ochsenkopf mit Stern, ähnlich Piccard, Ochsenkopf-Wasserzeichen VII, 309, 319 und ff., jedoch mit runden Ohren (alle Deutschland15./2 Jh.), in unserer Handschrift evtl. auch zwei leicht verschiedene Varianten, cf. p. 204 ff., 220, 352.
Umfang: 632 pp.
Format: 21 x 14
Seitennummerierung: Alte Foliierungen, eine erste römische des Rubrikators 1-7, dann eine spätere römische, 1-65 (fehlerlos), p. 241 setzt die gleiche Hand mit röm. 9-200 wieder ein (p. 60, 87, 111 wiederholt, springt 93 /99, 192 /194), 16. Jh. Neue Paginierung.
Lagenstruktur: Sexternionen, außer Anfang, evtl. ehem. Ternio, nach p. 2 sind 4 Bll. herausgerissen, Bl. 67/68 sind 2 zusammengeklebte Bll., Bl. 611/612 angeklebt, V 613 -632 . Arabische Lagennumerierung, z.T. abgeschnitten, sichtbar ab p. 50.
Seiteneinrichtung: Einspaltig 14/15 x 9/10 , 24-28 Z., p. 292-344 Unregelmäßigkeiten in der Einrichtung. Liniierung Tinte, ab p. 345 blind.
Schrift und Hände: Wenig formbestimmte Halbkursive von einer Haupthand des 15./2 Jhs. Am Schluß p. 608-631 Zusatz einer Hand ähnlichen Typs, nicht rubriziert.
Buchschmuck: Primitive 1- bis 2-zeilige rote Lombarden, Rubrizierung.
Spätere Ergänzungen: Kl. Marginalien fremder Hände p. 343 und 387.
Einband: Einband 15. Jh., braunes Leder auf Holz, Streicheisenlinien, Stempel (größere: Maria mit Kind, Agnus dei, kleinere: Lilie, Hund, Hirsch, Ranken), eine Messingschließe, wenig verziert. Papierschild auf Rücken: A Ein deütsches Predig Buch N I.
Inhaltsangabe:
  • (1-2) Inhaltsverzeichnis von der Haupthand.
  • 3-33 [Engelberger Prediger]: Predigt von St. Andreas
    Auch in Cod. Sangall. 1878 p. 432-464 (Textzitate siehe dort).
  • 34-59 Predigt [zum 3. Sonntag nach Ostern]
    Videbo vos et gaudebit cor vestrum et gaudium vestrum nemo tollat a uobis iohanes am xvi. Disi wort sind gesprochen zů den apostel v́nsers heren die mugend och nun gesprochen werden zů allen cristenlichen vnd gaistlichen lúten …–… der es ioch versůcht der kaines nit gesagen zů der froͤd helf v́ns der vater vnd der sun vnd derr hailig gaist amen.
  • 59-242 [Marquard von Lindau]: Nabuchodonosor
    Von andechtigem vnd schowindem leben an gůt lesen die ler ist genomen von der figur vnd sul [sic] nabukodonosor. Trahe me post [te] curremus in odore vngentorum tuorum. Also stat geschriben in der mininden sel bůch zúch mich nach dir das wir lofind in dem smank diner salben wir lesend lieber iunger das die da dienetend salomonis liebsten frowen von ir begretend [sic] das si bi ir wonen soͤltind …–… vnd mir och an weg vnd an bildner siist von minen mangfaltigen gebresten zů lutrer warem gelas ze kerinn das v́ns das baiden wider far das verlieh mir vnd v́ch der vater vnd der sun vnd der hailig gaist amen.
    Auch in Cod. Sangall. 966, p. 170-233 (stark variierend), und 1151, p. 233-345. Scherrer, Verzeichniss p. 362 und 416, gibt Nicolaus de Lyra als Verfasser an, was nicht zutrifft. Neue Ausgabe durch R. Horwege, Diss. Indiana University 1971 (maschinenschriftlich/Mikrofilm).
  • 247-263 Jobannes Tauler: Predigt zu Weihnachten
    Der tailler hat dis gebreget von der gebvrt ihesv christi an dem hailgen tag. Man begat hv́t in der hailgen cristenhait drierlai gebvrt in der ietlicher ain ietlich cristen mensch als gross waid vnd wonn soͤlt ne[m]en …–… das wir war gaistlich mvotren werdind das helf v́ns got amen.
    Vetter, Tauler Nr. 1, p. 7-12. Gedruckt in: Joannis Tauleri des heiligen lerers Predig... Basel, Adam Petri, 1521, f. Ira-IIvb. Unser Text sprachlich stark divergierend.
  • 263-384 [Engelberger Prediger]: Predigten
    (263-292) Disi bregi ist an dem hailgen [tag] ze wichenecht, (293-322) Von den fv́nfzechen zaichen die beschachend ain der gebv́rtlichen nacht v́nsers heren ihesv christi, (322-343) [Zu Nominis Jesu], (343-360) [Zu Epiphanie], (360-381) [Zu Epiphanie], (381-384) Von den hailgen dri kv́ngen.
    Die sechs Predigten (263-384) auch in Cod. 1878 p. 67-101, 101-135, 165-192, 211- 224, 192-211, 135-138, die letzte auch in Cod. 1004, p. 108-111 (Textzitate siehe oben unter Cod. 1878).
  • 384-413 Geistliche Briefe
    (384-389) Minen vserwelten frv́nden wv́nsch vnd bit ich dis nach geschriben gvot iar. Aain [sic] selig glv́khaftig gvot iar wv́nsch ich v́ch zvo allen ziten von got dem almechtigen der an wesenlieh iemer werendes gvot ist …–… ewiger belvenung das verlieh mir vnd v́ch got der vater vnd der svn vnd der hailig gaist amen. (389-392) Ain disen briefen solt dv lernen leben. Ihesvs christus v́nser lieber A [[irrtümlich statt M]] in liebi nv́geborni tochter merk mit fliss das nach der ler der ewigen wisshait nit den anfachenden svnder den stet belibenden wirt die kron der ewigen selikait …–… das vnschuldig lemli liden so sind des sicher das niemen mag vn liden selig werden amen. (392-405) Ihesvs christus v́nser lieber her Min liebi tochter in christo ich bekenn das dv diner sel …–… ze leben in disem betrvebten iomertail vnd mir vnd allen menschen das wir zvo der froͤd ewklich komind amen. (405-413) [am Rand:] Ain brieff an der vff fart [Text:] Ain frvchtber verainvng des gemvetz mit got mit enpfachvng haimlichs trost des hailgen gaists …–… damit enpfil ich v́ch ihesv maria kind vnd mich in v́wer andechtig gebet amen.
    Muschg, Mystik p. 231.
  • 413-425 Meister Eckhart [?] : Vom klösterlichen Leben
    Von closcherlichem [sic] leben. Maister eghart sprach kinder ich wil an red sprechen darvm nemend war wen ir da bi habind der verstanden si oder anfaltiges willen das die ding gvot lassin die er nit verstat konnend ir verston was an closter spricht ze tv́ths oder an samnvng …–… won die offenbart v́ch me denn all zvngen gesprechen konnend vnd fragend nit nach mainigfaltikait wend ir nit veriert werden.
    Gedr. in Jundt, Pantheisme, Appendice Nr. 2, p. 236-240. Sprachlich stark, inhaltlich gelegentlich divergierend.
  • 425-535 Johannes Tauler: Predigten
    • (425-440) [Zum Quatember-Freitag nach dem 1. Fastensonntag] Nach dem ersten sunnentag in der fasten an dem fritag ist disi bredi Erat dies festvs ivdeorvm. in disem ewangelio sant iohanes lesend wir das an hochzit was der ivden vnd ihesvs gieng vf gen ihervsalem …–… vnd ist ser nv́tz vnd fast brvchtber das v́ns das alles wider far des helf v́ns der vater vnd der svn vns der hailig gaist.
      Gedr. Vetter, Tauler Nr. 8, p. 34-40.
    • (440-448) An dem donstag for der alten fasnacht [gestrichen] ist disi bredi Sant iohans schribt v́ns an ewangelivm das v́nser her zvo den ivden sprach belibend ir in miner min so werdent ir warlich min ivnger in diser red ist fil schoͤn red wie v́nser her mit inen ret …–… vnd wirt in der warhait fri das wir also gotes ivnger werdend vnd die warhait v́ns loͤs vnd fri mach des helf v́ns der hailig gaist amen.
      Gedr. Tauler, Basel 1521, f. CLXXXVIIvb-CLXXXVIIIvb.
    • (448-464) [Zum Donnerstag nach dem 1. Fastensonntag] An dem andren svnnentag in der fasten doctor Thaulery Egressvs ihesv secessit ihsvs [sic] gieng vss in die end der land tiri vnd sidonis vnd denselben enden gieng vs an wib ach kinder dis ewangelivn wist v́ns vf den edlesten nv́tzesten weg vnd sicherlichesten ker …–… nvn bitend wir v́nsern lieben heren das wir v́nss also versenkind in got das wir in im fvnden werdind des helf v́ns got amen.
      Gedr. Vetter, Tauler Nr. 9, p. 40-46.
    • (464-479) [Zum Montag nach dem 4. Fastensonntag] Disi bregi ist am gůtemtag nach mitter fasten doctor Thauleri Unser her sprach tvnd disi hin vnd machent nit mins vaters hvs zvo am kof hvs die sel ist nit allain da von wirdig das si ist an hvs gotes won das ist si aigenlicher …–… das er sinen kinden erbarmhertzig si vnd von erbarmhertzikait bewist er gerechtikait das wir nun also funden werdind des helf v́ns got amen.
      Gedr. Tauler, Basel 1521, f. CLXXXIXra-CXCIrb.
    • (479-498) [Zum Montag vor Palmsonntag] Disi bregi ist an dem gůtemtag for dem balm tag doctor thaulerij Jn den lesten tagen ais grossen hochzites růft v́nser her mit ainer grossen stim wen tv́rst der kom zů mir vnd trink dis minniklich liden v́nsers heren das wir nun for v́ns hand das sol kain …–… vnd springend recht also in das ewig leben das v́ns das alles wider far des helf v́ns got.
      Gedr. Vetter, Tauler Nr. 11, p. 50-56.
    • (498-513) [Zum Dienstag vor Palmsonntag] Am zinstag for dem balmtgt Tempus meum non dum aduenit tempus autem vestrum semper est paratum Unser her sprach gond ir vf zů der hochzit ich wil nit dar v́wer zit ist all zit vnd min zit ist noch nit was ist dies hochzit. …–… hie in der zit vnd doͤrt in der ewikait in vn vssprechenlicher sallikait das v́ns das allen och beschech das helf v́ns got amen.
      Gedr. ibid. Nr. 12, p. 56-60.
    • (513-527) An der mitwuchen for dem balmtag In ainer zit was kilwi ze iherusalem vnd es was winter vnd ih[e]sus wandlet in salomonis bethus vnd vmgiengend in die iuden vnd sprachend wie lang wilt du v́nser sei vfenthalten …–… nit vf hoͤren nach mir in ze gen in dinen vrsprung danen du geflossen bist das v́ns das allen beschech des helf v́ns got.
      Gedr. ibid. Nr. 13, p. 60-64.
    • (527-535) Disi bregi ist an dem balm abend oder an der vffart abend Thauler Clarifica me pater der minniklich gotes sun hůb vf sini goͤtlichen ogen in den himel vnd sprach vater claͤr dinen sun dis wort lert vns das das [sic] wir vf sond heben …–… lieben kind hab ich v́ch nun ze fil zů gesprochen es ist got nit ze fil ir sond mir vergeben das v́ns das allen geschechen des helf v́ns got amen.
      Gedr. ibid. Nr. 15, p. 67-69, Z.29.
    • (535-536) [Geistliche Mahnung] Mensch gedenk waz du tuͤugist daz der will nit anders weil denn daz die vernunft well …–… daz ist daz gůt vnd daz boͤs da mag si sich keren zů wedrem tail si wil. (537-538) leer.
      Gedr. Quint, Untersuchungen 1, p. 60.
  • 539-607 [Leben, Taten und Wunder des heiligen Dominicus]
    In der stat karobagor do was ain edel man der hies felix vnd sin frow hies iohanna der tromt ainer nacht e das si das kind dominicvm trveg wie das si swanger wer worden vnd wie si das kind geberen soͤlt do sach si das kind ain do dvnkt si es wer ain hv́ndli …–… vnd v́ns helf das wir dinem folkommen leben nachfölgind das vns werd vnsers lebens an gvot end wid nach disem leben das ewig leben amen.
    Keine Abgrenzung der eigentlichen Vita von den z.T. sehr kurzen Taten und Wundern. Eine Zäsur in unserem Text p. 583, ohne inhaltliche Besonderheit. Aus 'Der Heiligen Leben', vgl. W. Williams-Krapp, in ZfdA 105, 1976, p.289 Nr. 147 (Lit.). S. auch H.G. Richert, Wege und Formen der Passionalüberlieferung, Tübingen 1978.
    Dieser Hauptteil des Cod. z.T. erfaßt bei Quint, Untersuchungen 1, p. 57-60; besprochen bei Muschg, Mystik p. 330f., 435f., mit einer Aufstellung der inhaltlichen Parallelen zu Sangall 1878 und Engelberg 335 und 336. Beim Cod. 1878 ist nicht, wie gemeldet, f. 68r (p. 135) eine Zeile irrtümlicherweise wiederholt, daher entfällt diese deshalb angenommene Parallele zu Cod. 1919, p. 322, im Sinne einer direkten Abhängigkeit der beiden Codd. Zum Engelberger Prediger vgl. oben Cod. 1878.
  • 608-631 [Geistliche Sinngedichte]
    JCh haiss v́nser frowen fischli jch wil dir luter aigen sin won du m[in ?]jn[nig? - unklar] froͤwliche rainikait der můter gotz bist nach gon darvmb wil sij dich ewiklich bij ir an der rainen megten schar han sij wil dir vff setzen daz guldin krentzlin din gemachel jhesus steckt dir ain an guldi fingerli (?) du wirst vor gon an den himelschen tancz vnd ewiklich niessen die goͤtlichen substancz die den rainen megten wirt geben vmb ir kúsch engelschliche leben etc. Clar win zuͤrnli. Jtem Ain tistel fogeli ich bin …–… darumb wil er dich suͤssiklich lassen růwen vff siner goͤtlichen brust vnd dir geben alle daz din hercz sel vnd gemuͤt gelust vnd sinen goͤtlichen arm v́ber dich decken daz dich niemant sig erschrecken noch erwecken.
    An die 70 solcher Parabeln, z.T. gereimt (s. oben). Vielleicht Widmungen anläßlich einer Gebetsverbrüderung. Vgl. auch die Notiz p. 630: Die erwirdigen andechtigen f[rauen (?)] von filingen Clarissera habent v́ns disi fogeli vnd fischli geben got weil sij ewiklich gesegnen.
    Eine Anzahl dieser Parabeln ist mit dem Namen einer Schwester versehen. Es erscheinen: Clar winzuͤrnli, Cecilia bayerin, Anna prúwi, Vrsel fungk, Apollonia pruggerin, Fronnec von nideg, Elsbet stierlij, Tilgen vaͤlchy, Barbara stoͤcklij, Clara wittenbaͤchi, magda broͤchij, Anna humpisi (?), Cleophe winzuͤrnlij, Briden forsterin, Magdi ?, Vrsel hem ?, magdalen wagnerin, Agnes pluͤme, Katharina oͤlerin, Lucia stoͤckli, Benedicta buͤchelerin, Anna faͤalcki, Katharina roschahin, Agnes rich..ati, Agnes buͤczli, Agnes sattlerin, Clar Jrmlerin aͤpptissin, Anna von cur oder satt, Katharina stoͤckli, Barbara hussin [?], Anna linsi. (632) leer.
    In nhd. Fassung teilweise abgedruckt bei Greith, Mystik p. 277-288; Vogler, St. Katharina p. 82, 250.
Entstehung der Handschrift: Der Band stammt aus dem Dominikanerinnenkloster St. Katharina St. Gallen / nachmals Wil. Besitzeinträge Spiegelblatt vorne: Dis bůch gehuoͤrt den frowen ze sant katherinen ze sant gallen, Hand des 15.Jhs.; Behört in St Catharina closter vor weÿl, Hand des 17. Jhs.
Erwerb der Handschrift: In StiBSG seit 16. September 1930 als Depositum der bischöflichen Bibliothek St.Gallen.